Freitag, 7. Januar 2011

Meine Familie und ich

Manchmal muss ich mich schon sehr wundern. Über meine Familie an sich. Und so ganz im Speziellen über meine Familie im Urlaub.

Wir reisen sternförmig aus aller Welt an. Das klappt großartig und alle sind – welch Wunder und eigentlich total undenkbar! - pünktlich. Wir erobern unsere Ferienwelt schnell, präzise und vernichtend. Innerhalb kürzester Zeit machen wir uns zu den unbeliebtesten Gästen im ganzen Ort. Niemand meckert so viel wie wir. Niemand hat so viele Extrawünsche. Mein Bruder wird fast in eine Schlägerei verwickelt, der Mann im Skiverleih kriegt Ausschlag, wenn er uns bloß sieht, die Frauen an der Rezeption im Ferienpark machen sich unsichtbar, sobald einer von uns durch die Tür kommt.

Die Nachbarn aus der Wohnung unter uns hassen uns, weil unsere Kinder bis tief in die Nacht Weitsprung im Wohnzimmer üben, während wir Erwachsenen beieinander sitzen und uns lautstark anbrüllen. Bei anderen Leuten nennt man so was „Unterhaltung“. Bei uns galt aber schon immer die Regel: Der Lauteste hat Recht. Darum brüllen alle gleichzeitig möglichst laut und schnell in die Runde, ohne darauf zu achten, was die anderen sagen. Da meine Stimme aber leider schon immer viel leiser war als die meiner Geschwister, werde ich am seltensten gehört. Daher glauben auch alle meine Verwandten bis heute, ich hätte von nichts eine Ahnung.

Meine Schwester (die über eine besonders kräftige, dunkle Stimme verfügt) schwingt lautstarke Reden gegen die massenhafte Vernichtung von lebendigem, kreativen Leben durch Ritalin und andere Psychopharmaka. Sie zwingt meinen Bruder und seine Frau, die Finger zu heben und vor der versammelten Familie zu schwören, dass sie ihren Kindern so etwas nie verabreichen werden. Beide folgen brav und wie hypnotisiert ihren Anweisungen. Möglicherweise war Ritalin im Spiel.

Es kommt nur noch selten vor, dass wir alle zusammen sind, und wir genießen das sehr. Fast alle jedenfalls. Plötzlich wird es verdächtig ruhig im Haus. Mein Schwager hat sich ausgeklinkt. Und von der Horde Kinder ist auch kein Mucks mehr zu hören. Als wir die Schlafzimmertür öffnen, sehen wir den Schwager im Bett liegen und fernsehen. Und neben ihm liegt ein halbes Dutzend Kinder unter den Decken und glotzt andächtig ebenfalls auf die Mattscheibe.

Beim Essen wird ausführlich über Verdauungsproblematiken geredet. Wer wann wie warum am besten kann. Oder auch nicht. Wer noch mal müsste. Am besten jetzt sofort. Oder doch erst später, wenn alles besser flutscht. Mein Schwager pinkelt bei sperrangelweit geöffneter Klotür. Offenbar ist meine Stimme so leise, dass ich mittlerweile sogar unsichtbar geworden bin und niemanden mehr in seiner Privatsphäre störe.

Entscheidungen fällen wir in ausgefeilten gruppendynamischen Prozessen. Mittags um zwölf gibt es erste Ideen, wie wir den Tag verbringen, gegen zwei zeichnet sich eine Tendenz ab, Lager bilden sich, Mitfahrgelegenheiten werden verteilt, um vier sind wir endlich startklar – und vollkommen überrascht, dass der Skiverleih schon geschlossen hat und die Dämmerung bereits hereinbricht.

Mein Bruder ist immer der Letzte. Überall. Er kommt nicht nur Minuten zu spät, sondern Stunden und Tage. Wir geben das Warten irgendwann auf. Das haben wir ein Leben lang gemacht. Jetzt ist Schluss. „Was ist der Papi?“ fragt seine Frau ihre fünfjährige Tochter. Prompte Antwort: „Trödelig.“ Ob das Kind auch schon ein Trauma hat?

Meine Schwägerin hasst uns alle, weil wir so chaotisch sind. Nur ihr italienisches Blut bewahrt sie davor, sich von der Familie abzuwenden. Mein Schwager hasst unsere Kompliziertheiten und Pingeligkeiten. Er bleibt uns nur treu, weil sein arabisches Blut Familienzusammenhalt fordert.

Ich habe leider nur deutsches Blut in mir. Aber auch das scheint zu binden, denn auch ich tue mir das alles immer wieder an, obwohl ich zwischendrin jedes Mal denke: Hilfe, ich bin ein Single, holt mich hier raus!

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Übermorgen fliege ich in den Urlaub, und wenn ich zurückkehre,...
feinstrick - 15. Mai, 21:06
Hat ja geklappt :)
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steppenhund - 11. Feb, 22:02
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