Am Rande
Ich habe zurzeit beruflich viel mit Menschen zu tun, die von unserer Gesellschaft zum Abschaum der Nation erklärt worden sind und bestenfalls mit Häme, schlimmstenfalls mit Hass bedacht werden. Es sind Menschen, die immer am Rande stehen und dennoch ständig auffallen - weil sie zu schräg, zu fett, zu ungebildet, zu teuer sind. Sie liegen uns ehrlichen Steuerzahlern auf der Tasche und zocken den Staat ab, statt sich endlich mal an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ihrer selbst verschuldeten Misere zu ziehen. Andere schaffen es ja schließlich auch.
So oder ähnlich denken immer mehr Leute über Hartz IV-Empfänger. Die Medien leisten ihren Beitrag, indem sie Langzeitarbeitslose vor die Kamera zerren, die zeigen, wie bequem es ist, auf Staatskosten zu leben, statt sich für ein paar Euro krumm zu machen. Und unser Außenminister haut auch noch kräftig in die Kerbe und würde die Hartz IV-Bezüge am liebsten deutlich kürzen, damit die Leute endlich mal ihren fetten, faulen Hintern hochkriegen und sich nicht weiter aushalten lassen (genau so hat er das natürlich nicht gesagt, aber vielleicht gedacht).
Ich habe nun, wie gesagt, viel mit diesem Abschaum der Gesellschaft zu tun, den faulen Abzockern, den Arbeitsscheuen, den Asozialen. Stimmt, viele dieser Leute erfüllen alle Klischees, die so in unseren Köpfen rumgeistern. Sie sind träge, aggressiv, ungebildet. Mal ist es die billig zurecht gemachte Friseuse, mal der türkische Macho, der aussieht, als sei er einem Modekatalog entsprungen, aber kaum seinen Namen richtig schreiben kann. Einige sind sehr gebildet und man merkt, dass sie einst viel, viel bessere Zeiten gesehen haben. Sie sind entweder übertrieben gestylt oder aber sie sehen auf hundert Meter Entfernung arm aus. Sie haben gammelige Zähne und schlecht sitzende Frisuren. Manche von ihnen riechen nicht gut. Manche sind sehr aggressiv. Andere scheinen unter einem fast krankhaften Redezwang zu leiden. Manche sind unhöflich und unverschämt. Andere schüchtern und ängstlich.
Auf der Straße würde ich um viele von ihnen einen großen Bogen machen. Aber je länger ich mit ihnen arbeite, desto mehr berühren mich ihre Geschichten, ihre verzweifelten Versuche um Anerkennung, das hilflose Bemühen, auch ein Stückchen vom Kuchen abzubekommen. Viele von ihnen haben Schicksalsschläge erlitten, an denen andere zerbrechen würden. Sie erfahren immer wieder Ablehnung und geben dennoch nicht auf. Sie sind bereit, jeden Job anzunehmen (wirklich JEDEN), nur, um nicht länger vom Staat abhängig sein zu müssen. Sie werden von skrupellosen Zeitarbeitsfirmen ausgebeutet, um ihren Lohn geprellt und wie Dreck behandelt. Ihre Ansprechpartner bei der ARGE machen sich nicht die Mühe, ihnen wirklich zuzuhören, auf ihre Wünsche und Bedürfnisse einzugehen. Sie dürfen nämlich keine Wünsche haben. Schließlich leben sie auf Staatskosten. Das macht sie automatisch zu rechtlosen Wesen, die wie Kriminelle behandelt werden.
Je länger ich mit diesen Menschen arbeite, desto mehr steigt meine Wut auf einen Staat, der es zulässt, Millionen Bürger zu stigmatisieren, wie Aussatz zu behandeln. Sie werden in "Maßnahmen" gesteckt, die selten wirkungsvoll und zielgerichtet sind, dafür aber die Statistiken beschönigen. Man tut so, als sei es ihre Schuld, dass sie keine Arbeit finden, nur um nicht zugeben zu müssen, dass auf dem deutschen Arbeitsmarkt für Menschen mit wenig Bildung oder sehr krummen Lebensläufen einfach kein Platz mehr ist. Weil uns die Ideen und der Mut fehlen, wie wir nachhaltige Arbeitsplätze auch und gerade für diese Zielgruppen schaffen können, schieben wir ihnen einfach den Schwarzen Peter zu. Das ist ja viel praktischer. Dabei werden viele von ihnen nie wieder in ihrem Leben eine angemessene Arbeit finden, so sehr sie sich auch darum bemühen.
Ich wage nicht, ihnen das zu sagen. Vielmehr mache ich ihnen Mut, bemühe mich, ihnen wenigsten ein bisschen Selbstachtung und Hoffnung zurückzugeben. Wie gut ihnen das tut, merke ich schnell. Innerhalb weniger Tage verwandeln sie sich von abwehrenden, frustrierten Wesen in Menschen, die mir sehr offen von ihrem steten Scheitern erzählen und voller Sehnsucht ihre geheimsten Träume aussprechen.
"Endlich behandelt uns mal jemand wie Menschen", sagen sie dankbar, und ich bin schockiert darüber, dass das sonst offenbar nicht der Fall ist.
"Warum will mich denn keiner haben?" fragen sie verzweifelt, und ich habe darauf auch keine Antworten.
"Vielen Dank dafür, dass Sie sich so viel Zeit genommen haben. Ich habe selten so viel gelernt wie in den letzten Tagen", sagt ein Mann, der eine lange Drogen- und Gefängniskarriere hinter sich hat und am ersten Tag beinah aus dem Projekt wieder rausgeflogen wäre, weil er meinen Kollegen sehr aggressiv anging. Ich habe ihm zugehört und ihn ernst genommen, das war alles.
"Sie dürfen das nicht persönlich nehmen", entschuldigt sich ein junger Mann, der anfangs auch sehr deutlich seinen Unmut zu verstehen gab. "Aber ich bin einfach so wütend darüber, dass ich keine Lehrstelle finde." Und dann fängt er fast an zu weinen, als er erzählt, wie sehr ihn der Tod seines Vaters verstört hat und wie enttäuscht er darüber ist, dass ihn niemand auf dem Arbeitsmarkt haben will.
Und dann werde ich nicht nur wütend auf unsere merkwürdige Arbeitsmarktpolitik, sondern auch auf die Unfähigkeit unserer Gesellschaft, passende Bildungsangebote für alle zu schaffen. Die Mehrheit der Hartz IV-Empfänger möchte gerne arbeiten. Doch vielen wird diese Chance bereits in der Schule genommen. Gewiss, es wird sie immer geben, die Faulen, die Unwilligen, die modernen Tagelöhner, die es nie länger als ein paar Wochen im selben Job aushalten. Aber sie sind eine Minderheit. Die Mehrheit von ihnen hingegen meistert mit Bravour ein Leben, das kaum jemand der normal arbeitenden Bevölkerung auch nur eine Woche aushalten würde. Wir alle würden an diesen ständigen Demütigungen, Zwangsmaßnahmen und Zurückweisungen zugrunde gehen. Diese Menschen jedoch ertragen sie viele Jahre, manchmal sogar ein Leben lang. Dass sie dabei gelegentlich auch mal aufgeben und sich hängen lassen, dass sie mutlos und schwerfällig, lethargisch und frustriert, aggressiv und zornig werden - wer kann ihnen das verdenken? Schließlich sind auch sie nur Menschen und keine leblosen Statistikzahlen oder fleischgewordene Nummern einer Behörde, die zwar Namen wie "Arbeitsagentur" oder "Jobcenter" trägt, jedoch alles mögliche zu bieten hat, nur keine Jobs.
So oder ähnlich denken immer mehr Leute über Hartz IV-Empfänger. Die Medien leisten ihren Beitrag, indem sie Langzeitarbeitslose vor die Kamera zerren, die zeigen, wie bequem es ist, auf Staatskosten zu leben, statt sich für ein paar Euro krumm zu machen. Und unser Außenminister haut auch noch kräftig in die Kerbe und würde die Hartz IV-Bezüge am liebsten deutlich kürzen, damit die Leute endlich mal ihren fetten, faulen Hintern hochkriegen und sich nicht weiter aushalten lassen (genau so hat er das natürlich nicht gesagt, aber vielleicht gedacht).
Ich habe nun, wie gesagt, viel mit diesem Abschaum der Gesellschaft zu tun, den faulen Abzockern, den Arbeitsscheuen, den Asozialen. Stimmt, viele dieser Leute erfüllen alle Klischees, die so in unseren Köpfen rumgeistern. Sie sind träge, aggressiv, ungebildet. Mal ist es die billig zurecht gemachte Friseuse, mal der türkische Macho, der aussieht, als sei er einem Modekatalog entsprungen, aber kaum seinen Namen richtig schreiben kann. Einige sind sehr gebildet und man merkt, dass sie einst viel, viel bessere Zeiten gesehen haben. Sie sind entweder übertrieben gestylt oder aber sie sehen auf hundert Meter Entfernung arm aus. Sie haben gammelige Zähne und schlecht sitzende Frisuren. Manche von ihnen riechen nicht gut. Manche sind sehr aggressiv. Andere scheinen unter einem fast krankhaften Redezwang zu leiden. Manche sind unhöflich und unverschämt. Andere schüchtern und ängstlich.
Auf der Straße würde ich um viele von ihnen einen großen Bogen machen. Aber je länger ich mit ihnen arbeite, desto mehr berühren mich ihre Geschichten, ihre verzweifelten Versuche um Anerkennung, das hilflose Bemühen, auch ein Stückchen vom Kuchen abzubekommen. Viele von ihnen haben Schicksalsschläge erlitten, an denen andere zerbrechen würden. Sie erfahren immer wieder Ablehnung und geben dennoch nicht auf. Sie sind bereit, jeden Job anzunehmen (wirklich JEDEN), nur, um nicht länger vom Staat abhängig sein zu müssen. Sie werden von skrupellosen Zeitarbeitsfirmen ausgebeutet, um ihren Lohn geprellt und wie Dreck behandelt. Ihre Ansprechpartner bei der ARGE machen sich nicht die Mühe, ihnen wirklich zuzuhören, auf ihre Wünsche und Bedürfnisse einzugehen. Sie dürfen nämlich keine Wünsche haben. Schließlich leben sie auf Staatskosten. Das macht sie automatisch zu rechtlosen Wesen, die wie Kriminelle behandelt werden.
Je länger ich mit diesen Menschen arbeite, desto mehr steigt meine Wut auf einen Staat, der es zulässt, Millionen Bürger zu stigmatisieren, wie Aussatz zu behandeln. Sie werden in "Maßnahmen" gesteckt, die selten wirkungsvoll und zielgerichtet sind, dafür aber die Statistiken beschönigen. Man tut so, als sei es ihre Schuld, dass sie keine Arbeit finden, nur um nicht zugeben zu müssen, dass auf dem deutschen Arbeitsmarkt für Menschen mit wenig Bildung oder sehr krummen Lebensläufen einfach kein Platz mehr ist. Weil uns die Ideen und der Mut fehlen, wie wir nachhaltige Arbeitsplätze auch und gerade für diese Zielgruppen schaffen können, schieben wir ihnen einfach den Schwarzen Peter zu. Das ist ja viel praktischer. Dabei werden viele von ihnen nie wieder in ihrem Leben eine angemessene Arbeit finden, so sehr sie sich auch darum bemühen.
Ich wage nicht, ihnen das zu sagen. Vielmehr mache ich ihnen Mut, bemühe mich, ihnen wenigsten ein bisschen Selbstachtung und Hoffnung zurückzugeben. Wie gut ihnen das tut, merke ich schnell. Innerhalb weniger Tage verwandeln sie sich von abwehrenden, frustrierten Wesen in Menschen, die mir sehr offen von ihrem steten Scheitern erzählen und voller Sehnsucht ihre geheimsten Träume aussprechen.
"Endlich behandelt uns mal jemand wie Menschen", sagen sie dankbar, und ich bin schockiert darüber, dass das sonst offenbar nicht der Fall ist.
"Warum will mich denn keiner haben?" fragen sie verzweifelt, und ich habe darauf auch keine Antworten.
"Vielen Dank dafür, dass Sie sich so viel Zeit genommen haben. Ich habe selten so viel gelernt wie in den letzten Tagen", sagt ein Mann, der eine lange Drogen- und Gefängniskarriere hinter sich hat und am ersten Tag beinah aus dem Projekt wieder rausgeflogen wäre, weil er meinen Kollegen sehr aggressiv anging. Ich habe ihm zugehört und ihn ernst genommen, das war alles.
"Sie dürfen das nicht persönlich nehmen", entschuldigt sich ein junger Mann, der anfangs auch sehr deutlich seinen Unmut zu verstehen gab. "Aber ich bin einfach so wütend darüber, dass ich keine Lehrstelle finde." Und dann fängt er fast an zu weinen, als er erzählt, wie sehr ihn der Tod seines Vaters verstört hat und wie enttäuscht er darüber ist, dass ihn niemand auf dem Arbeitsmarkt haben will.
Und dann werde ich nicht nur wütend auf unsere merkwürdige Arbeitsmarktpolitik, sondern auch auf die Unfähigkeit unserer Gesellschaft, passende Bildungsangebote für alle zu schaffen. Die Mehrheit der Hartz IV-Empfänger möchte gerne arbeiten. Doch vielen wird diese Chance bereits in der Schule genommen. Gewiss, es wird sie immer geben, die Faulen, die Unwilligen, die modernen Tagelöhner, die es nie länger als ein paar Wochen im selben Job aushalten. Aber sie sind eine Minderheit. Die Mehrheit von ihnen hingegen meistert mit Bravour ein Leben, das kaum jemand der normal arbeitenden Bevölkerung auch nur eine Woche aushalten würde. Wir alle würden an diesen ständigen Demütigungen, Zwangsmaßnahmen und Zurückweisungen zugrunde gehen. Diese Menschen jedoch ertragen sie viele Jahre, manchmal sogar ein Leben lang. Dass sie dabei gelegentlich auch mal aufgeben und sich hängen lassen, dass sie mutlos und schwerfällig, lethargisch und frustriert, aggressiv und zornig werden - wer kann ihnen das verdenken? Schließlich sind auch sie nur Menschen und keine leblosen Statistikzahlen oder fleischgewordene Nummern einer Behörde, die zwar Namen wie "Arbeitsagentur" oder "Jobcenter" trägt, jedoch alles mögliche zu bieten hat, nur keine Jobs.
Arbeitszimmer - feinstrick - 25. Mai, 08:09
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