Ich hab noch einen Koffer in Berlin
Neben den Orten, an denen ich gelebt habe, gibt es keine deutsche Stadt, mit der ich so viele intensive Erinnerungen verbinde, wie mit Berlin. Immer wieder haben mich meine Wege nach Berlin geführt, und obwohl ich nie dort gelebt habe, stellt sich eine eigenartige Vertrautheit ein, wenn ich an Berlin denke. Ich war im Sommer dort und im Winter, als Kind und als Erwachsene, ich hatte viel, viel Spaß, ich habe gelebt, geliebt, geträumt und auch gearbeitet, nüchtern, konzentriert, intensiv. Ich war zur Zeit des Mauerfalls in Berlin, sammelte Mauerbröckchen ein, die ich heute noch besitze und machte Fotos von den Grenzsoldaten, die mit den Passanten lachten und sich Blumen reichen ließen. Sie hatten nichts mehr gemeinsam mit jenen Robotern, die meinen Vater an der Grenze zwangen, unser gesamtes Auto auseinander zu nehmen, was ihn in höchste Anspannung versetzte und ihm den Schweiß auf die Stirn trieb, verlor er doch als ehemaliger Republikflüchtling auch nach zwanzig Jahren noch nicht seine Furcht vor Repressalien.
Vor allem die Liebe ging in meinem Leben eine eigenartige Verbindung mit dieser alten, geschichtsträchtigen Stadt ein. Einmal fuhr ein Mann über Silvester nach Berlin, um dort ohne mich an der soeben gefallenen Mauer mit einem Freund zu feiern. Ich nahm ihm das sehr übel, betrank mich fürchterlich mit Jägermeister und verschlief die Silvesternacht. Diese Liebe hielt nur noch wenige Wochen. Beim nächsten Mal reiste ich einem Mann der Liebe wegen von Hamburg nach Berlin hinterher. Ich kannte ihn überhaupt nicht, aber seitdem waren wir ein Paar und blieben es die nächsten viereinhalb Jahre. Danach hatte ich eine Affäre mit einem Mann, der in Berlin lebte. Ich liebte ihn nicht wirklich, aber er half mir, den Mann zu vergessen, dem ich hinterher gereist war. Einige Jahre später hatte ich eine äußerst verunglückte Affäre mit einem Mann, der ursprünglich aus Berlin stammte. Er berlinerte gerne mal, was ich immer sehr sympathisch fand. Und die bisher letzte Berliner Herzensbegegnung hatte ich mit einem Mann, mit dem alles schief lief und an den ich trotzdem viele wundervolle Erinnerungen hege. Unser gemeinsamer Kurztrip nach Berlin zählt eindeutig zu den Höhepunkten dieser Beziehung. Trotz widriger Umstände war unsere gemeinsame Zeit dort sehr berührend, sehr emotional, sehr, sehr intensiv.
Noch heute meide ich gewisse Ecken in Berlin, weil sie zu sehr nach gebrochenem Herzen, Enttäuschung und ungestillter Sehnsucht riechen. Immer noch sehe ich vor allem jenen letzten Mann Seite an Seite mit mir durch die Straßen schlendern, vorbei an den Regierungsgebäuden, den so schön renovierten Hackeschen Höfen, den vielen kleinen Cafés im Prenzlauer Berg, den Mädchen an der Oranienburger Straße. Dann fühle ich mich eigenartig verloren und komme mir sehr hilflos und winzig vor in dieser großen, unübersichtlichen Stadt, in der man scheinbar schnell untergehen kann.
Gleichzeitig aber scheine ich in dieser Stadt bald so viele Menschen zu kennen wie zuhause in Hamburg. Ich habe gute Freunde hier, und ich habe berufliche Kontakte. Ich fühle mich wohl in Berlin, und obwohl ich ständig die Orientierung verliere und auch Orte, an denen ich schon öfter war, immer wieder neu entdecken muss, kommt allmählich so etwas wie Vertrautheit auf, wenn der Zug im Hauptbahnhof einfährt, diesem grandiosen Meisterwerk an Unübersichtlichkeit und Seelenlosigkeit, wenn ich in irgendeine Bahn des Nahverkehrs steige, die zufällig gerade nicht bestreikt wird, quer durch die Stadt fahre, diese unwiderstehliche Melange aus Alt und Neu bestaune, an wunderschönen Häusern vorbei gehe und mich stellenweise zurück versetzt fühle in meine Kindheit, in der ich meine ersten Begegnungen mit Berlin hatte.
Verwandte von uns lebten in Ostberlin. Wir besuchten sie gelegentlich und ich sehe immer noch ihr kleines Haus vor mir, die typisch braune Fassade mit den grünen Fensterläden, den großen Garten, einen Wartburg vor der Tür und Sandwege, auf denen ich mit meinem Cousin Fahrrad gefahren bin. Ich sehe uns in ihrer kleinen Datscha an einem See, wo mich die Mücken zerfressen haben und ich das erste Mal in meinem Leben in einem Segelboot saß – und ein bisschen für meinen Cousin schwärmte, was mir nicht gut tat. Ich sehe uns im Garten grillen, Brause trinken und höre meinen Onkel vom Fernsehturm sprechen, in dessen Kuppel durch Lichtreflexe der Sonne ein Kreuz entsteht, was in einem atheistischen Staat wohl etwas fehl am Platz war. Mein Onkel war Architekt und irgendwie am Bau beteiligt, und dieser kleine Geniestreich, ob beabsichtigt oder auch nicht, hat ihn immer diebisch gefreut.
Beschaulichkeit ist wohl das passende Wort für all diese Erinnerungen, und seltsamerweise ist das ein Wort, das für mich auch heute noch passt, wenn ich mich in bestimmten Vierteln bewege, nicht nur im Osten, sondern ganz allgemein da, wo die Modernisierung das Stadtbild nicht verändert hat, wo es immer noch diese typischen kleinen Gehwegplatten gibt, die rautenförmig angeordnet sind, wo die Wege mit Bäumen gesäumt sind und die Straßen Kopfsteinpflaster haben und vor den Häusern mit ihren riesigen Eingangshallen und den Hinterhöfen, die ich so nur aus Berlin kenne, Blumen in kleinen, alten Gärtchen blühen, die von rostigen Zäunen eingegrenzt sind.
In den letzten Monaten war ich sehr oft in Berlin, weil ich eine Ausbildung dort mache. Ich sehe zwar von der Stadt außer Bahnhöfen und S-Bahnen so gut wie nichts, denn es bleibt kaum Zeit, groß um die Häuser zu ziehen. Aber dennoch fühle ich mich ganz anders als in Hamburg. Ich weiß nicht, ob das an all meinen Erinnerungen liegt oder an dieser besonderen Stadt, die Leben und Beschaulichkeit in einem verkörpert, Modernität und Nostalgie, die geradezu dafür geschaffen ist, sich zu verlieben und das Glück dann doch nicht greifen zu können, und die für mich daher immer den Inbegriff des puren, satten Lebens darstellt. Übermorgen mache ich mich wieder auf den Weg und werde einige Tage in Berlin verbringen. Und wer weiß, vielleicht werde ich eines Tages sogar mal meine Koffer für immer dort auspacken.
Vor allem die Liebe ging in meinem Leben eine eigenartige Verbindung mit dieser alten, geschichtsträchtigen Stadt ein. Einmal fuhr ein Mann über Silvester nach Berlin, um dort ohne mich an der soeben gefallenen Mauer mit einem Freund zu feiern. Ich nahm ihm das sehr übel, betrank mich fürchterlich mit Jägermeister und verschlief die Silvesternacht. Diese Liebe hielt nur noch wenige Wochen. Beim nächsten Mal reiste ich einem Mann der Liebe wegen von Hamburg nach Berlin hinterher. Ich kannte ihn überhaupt nicht, aber seitdem waren wir ein Paar und blieben es die nächsten viereinhalb Jahre. Danach hatte ich eine Affäre mit einem Mann, der in Berlin lebte. Ich liebte ihn nicht wirklich, aber er half mir, den Mann zu vergessen, dem ich hinterher gereist war. Einige Jahre später hatte ich eine äußerst verunglückte Affäre mit einem Mann, der ursprünglich aus Berlin stammte. Er berlinerte gerne mal, was ich immer sehr sympathisch fand. Und die bisher letzte Berliner Herzensbegegnung hatte ich mit einem Mann, mit dem alles schief lief und an den ich trotzdem viele wundervolle Erinnerungen hege. Unser gemeinsamer Kurztrip nach Berlin zählt eindeutig zu den Höhepunkten dieser Beziehung. Trotz widriger Umstände war unsere gemeinsame Zeit dort sehr berührend, sehr emotional, sehr, sehr intensiv.
Noch heute meide ich gewisse Ecken in Berlin, weil sie zu sehr nach gebrochenem Herzen, Enttäuschung und ungestillter Sehnsucht riechen. Immer noch sehe ich vor allem jenen letzten Mann Seite an Seite mit mir durch die Straßen schlendern, vorbei an den Regierungsgebäuden, den so schön renovierten Hackeschen Höfen, den vielen kleinen Cafés im Prenzlauer Berg, den Mädchen an der Oranienburger Straße. Dann fühle ich mich eigenartig verloren und komme mir sehr hilflos und winzig vor in dieser großen, unübersichtlichen Stadt, in der man scheinbar schnell untergehen kann.
Gleichzeitig aber scheine ich in dieser Stadt bald so viele Menschen zu kennen wie zuhause in Hamburg. Ich habe gute Freunde hier, und ich habe berufliche Kontakte. Ich fühle mich wohl in Berlin, und obwohl ich ständig die Orientierung verliere und auch Orte, an denen ich schon öfter war, immer wieder neu entdecken muss, kommt allmählich so etwas wie Vertrautheit auf, wenn der Zug im Hauptbahnhof einfährt, diesem grandiosen Meisterwerk an Unübersichtlichkeit und Seelenlosigkeit, wenn ich in irgendeine Bahn des Nahverkehrs steige, die zufällig gerade nicht bestreikt wird, quer durch die Stadt fahre, diese unwiderstehliche Melange aus Alt und Neu bestaune, an wunderschönen Häusern vorbei gehe und mich stellenweise zurück versetzt fühle in meine Kindheit, in der ich meine ersten Begegnungen mit Berlin hatte.
Verwandte von uns lebten in Ostberlin. Wir besuchten sie gelegentlich und ich sehe immer noch ihr kleines Haus vor mir, die typisch braune Fassade mit den grünen Fensterläden, den großen Garten, einen Wartburg vor der Tür und Sandwege, auf denen ich mit meinem Cousin Fahrrad gefahren bin. Ich sehe uns in ihrer kleinen Datscha an einem See, wo mich die Mücken zerfressen haben und ich das erste Mal in meinem Leben in einem Segelboot saß – und ein bisschen für meinen Cousin schwärmte, was mir nicht gut tat. Ich sehe uns im Garten grillen, Brause trinken und höre meinen Onkel vom Fernsehturm sprechen, in dessen Kuppel durch Lichtreflexe der Sonne ein Kreuz entsteht, was in einem atheistischen Staat wohl etwas fehl am Platz war. Mein Onkel war Architekt und irgendwie am Bau beteiligt, und dieser kleine Geniestreich, ob beabsichtigt oder auch nicht, hat ihn immer diebisch gefreut.
Beschaulichkeit ist wohl das passende Wort für all diese Erinnerungen, und seltsamerweise ist das ein Wort, das für mich auch heute noch passt, wenn ich mich in bestimmten Vierteln bewege, nicht nur im Osten, sondern ganz allgemein da, wo die Modernisierung das Stadtbild nicht verändert hat, wo es immer noch diese typischen kleinen Gehwegplatten gibt, die rautenförmig angeordnet sind, wo die Wege mit Bäumen gesäumt sind und die Straßen Kopfsteinpflaster haben und vor den Häusern mit ihren riesigen Eingangshallen und den Hinterhöfen, die ich so nur aus Berlin kenne, Blumen in kleinen, alten Gärtchen blühen, die von rostigen Zäunen eingegrenzt sind.
In den letzten Monaten war ich sehr oft in Berlin, weil ich eine Ausbildung dort mache. Ich sehe zwar von der Stadt außer Bahnhöfen und S-Bahnen so gut wie nichts, denn es bleibt kaum Zeit, groß um die Häuser zu ziehen. Aber dennoch fühle ich mich ganz anders als in Hamburg. Ich weiß nicht, ob das an all meinen Erinnerungen liegt oder an dieser besonderen Stadt, die Leben und Beschaulichkeit in einem verkörpert, Modernität und Nostalgie, die geradezu dafür geschaffen ist, sich zu verlieben und das Glück dann doch nicht greifen zu können, und die für mich daher immer den Inbegriff des puren, satten Lebens darstellt. Übermorgen mache ich mich wieder auf den Weg und werde einige Tage in Berlin verbringen. Und wer weiß, vielleicht werde ich eines Tages sogar mal meine Koffer für immer dort auspacken.
Unterwegs - feinstrick - 12. Mär, 13:19
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